Wehmütig fiel der Blick der Gefährten auf das untergegangene Tharbad. Die letzten Tage hatten sie die ganze Pracht dieser großen wunderbaren Stadt kennen lernen lassen und auch das Elend und die Verzweiflung, die der Krieg gegen den Hexenkönig von Angmar mit sich brachten.
Wie sie in ihre Zeit, das Jahr 3012 DZ, zurückgekommen waren, wussten sie nicht. Sie hatten nicht einmal gemerkt, das sie der alte Wasa Ari- Ghan wiedereinmal in der Zeit hatte wandern lassen. Es war bereits Herbst geworden. Der Handschuh, den sie für die Zerstörung des dunklen Steins brauchten, trug Sibroc bei sich. Ogtaba, der Wasa- Schamane, der als Ork aufgewachsen war, hatte sie ohne große Worte verlassen, war zurück ins Nebelgebirge gewandert, ob zu seinem Stamm im Gramberg oder einfach nur in die kalte Wildnis um seine Ausbildung zu vollenden, wußte niemand.
Gerade als sich die Freunde auf ihren 500 km langen Ritt südwestlich durch Minhiriath machen wollten, kam ihnen ein Reiter aus dem versunkenen Tharbad entgegen. Nass bis auf die Knochen, näherte sich ein Waldelb der Gruppe:
„Man bin ich froh, das mich der Gwatlho wieder ausgespuckt hat. Doch verzeiht, ich bin unhöflich. Mein Name ist Lamalas, Silvan aus dem nördlichen Düsterwald auf dem Weg zum Eryn Vorn.“
Nach anfänglichem Zögern, nahmen die Gefährten Lamalas in ihre Reihen auf.
Minhiriath, großes, wildes, Gras bewachsenes Hügelland, durchzogen von Flüssen und Wäldern, nahezu menschenleer in diesen dunklen Zeiten. So sagt man. Zwölf Tage sollte die Durchquerung dauern.
Die Reise ging gut voran. Das herbstliche kalte Regenwetter hatte noch nicht eingesetzt. Und vielleicht würden sie dieses schöne Land vorher durch ritten haben: Broca, Tarthalion, Menelcar, Lamalas, Wino und Sibroc.
Als Rast- und Ruheplatz für das Ende des fünften Tages, hatte die Gruppe die Erhebung Creb Dunga ins Auge gewachst. Den Valar sei Dank, hatten sich Broca und Menelcar in Tharbad in Wizelins Haus mit Karten Cardolans beschäftigt. Waren sie auch aus heutiger Sicht hoffnungslos veraltet, die Städte und Dörfer nicht mehr existent, so sollten Naturformationen doch wahrscheinlich noch erhalten sein. In der Nähe des Hügels angekommen, sahen sie eine dünne Rauchfahne aufsteigen. Kurz darauf konnten sie das Feuer bereits riechen. Die Falbhaut Broca beschloss einmal nachzusehen, ob sie vielleicht an diesem Feuer einen Platz für die Nacht finden würden. Vorsichtig und lautlos erreichte der Hobbit die Ruinen auf der Spitze. Fünf Männer schlugen hier ihr Nachtlager auf. In grün und braun gekleidet, seit Tagen nicht mehr rasiert, machten die mit Jagdmessern und Bögen Bewaffneten einen düsteren Eindruck. Sie unterhielten sich in einem Dialekt des Westron. Und so schlussfolgerte Broca, das es sich um Jäger handeln musste.
Die Gruppe ritt daraufhin geräuschvoll im Dämmerlicht des schwindenden Tages auf den Hügel hinauf. Der älteste der Männer kam ihnen ruhig entgegen. Nach anfänglichen Sprachschwierigkeiten, verfiel auch er, der sich Balder nannte, in das gebräuchliche Westron. Die Freunde verbrachten einen schönen Abend am Lagerfeuer der Jäger. „Wir jagen zur Zeit den seltenen und gefährlichen Glutan“, erzählte Balder. „Sein Fell ist sehr begehrt und wird uns in Caerg Faergus einiges einbringen.“
„Caerg Faergus?“, hakte Menelcar nach.
„Die einzige Stadt hier in Minhiriath“, antwortete ihm der Jäger. „Sie liegt am nördlichen Eryn Vorn, hat sogar einen kleinen Hafen. Sie leben vom Fischfang und vom Handel mit den wenigen Menschen des Landes. Ab und an wagt sogar noch ein Schiff aus dem südlichen Pelargir die Reise dort hin.“
Froh ein konkretes Ziel vor Augen zu haben, bittet Menelcar Balder um Vorräte.
„Auch unsere Nahrung ist knapp bemessen. Aber am morgigen Abend müsstet ihr auf ein kleines Dorf treffen. Im Gasthaus Zur letzten Laterne könnt ihr eure Vorräte auffrischen. Die Grimmonds werden sich über euren Besuch freuen. Inga kocht ganz ausgezeichnet. Aber nehmt euch in Acht. Orks scheinen dieser Tage in Minhiriath unterwegs zu sein. Vor drei Tagen stießen wir südlich von hier auf vier bis fünf tage alte Spuren. Ein gutes Dutzend war in Richtung Osten unterwegs.“
Die Nacht blieb ruhig. Im Morgengrauen verabschiedeten sich die Freunde von Balder und seinen Jägern und setzten ihre Reise fort.
Gegen Abend erreichten die Gefährten das Tal in dem die sieben Häuser lagen. Die kleine Siedlung durchzog ein Bach, ein Wald lag am Hang des Hügelkamms. Die untergehende Sonne im Rücken lag das Gasthaus vor ihnen. Am Brunnen ließen die Gefährten die Pferde zurück, um in den Schankraum zu treten.
…“Könnte sich bitte jemand um die Pferde kümmern“ erklang Menelcars Stimme im Schankraum. Ein kleiner Junge, vom Wirt Alwin gerufen, machte sich auf den Weg.
„Wir brauchen etwas zu Essen und eine Unterkunft für die Nacht“, sprach Tarthalion den Wirt an. Die Freunde durchquerten den alten Gasthof, um an einem Tisch in der Nähe des Kamins Platz zu nehmen. Die Dorfbewohner, die ihr abendliches Bier genossen, nahmen kaum Notiz von ihnen. Der Wirt Ethelbert Grimmond nahm die Bestellung entgegen, ließ den Schlafsaal richten.
Später, das Abendessen hatte hervorragend geschmeckt, nahm Menelcar den Gastwirt bei Seite:
„Wir trafen unterwegs auf Balder und seine Jäger. Sie warnten uns vor Orks, deren Spuren sie vor drei Tagen südlich von hier gefunden hatten. Vielleicht gebt ihr die Warnung an die anderen weiter.“ „Danke“, erwiderte Ethelbert und verschwand im Dorf. Die Gefährten legten sich schlafen.
Gegen Mitternacht klopfte es heftig an der Tür des Schlafsaales. Inga, die Frau des Wirtes, bat sie mit ängstlicher zitternder Stimme in den Schankraum. Irritiert und sichtlich müde folgten die Freunde.
„Unser jüngster Sohn, Alwin, ist verschwunden. Wir können ihn nirgends finden. Auch im Dorf ist er nicht. Er treibt sich aber auch gerne herum.“ erklärte der Wirt.
„Helft uns bitte ihn zu finden. Bitte!“ flehte Inga.
Eilig rafften die Abenteurer ihre Ausrüstung zusammen. Ausgestattet mit Laternen begann die Spurensuche. Broca entdeckte die Fährte hinterm Haus am Waldrand. Schnell folgten sie der Spur. Nach ein paar Minuten brach etwas lautstark seitlich durchs Unterholz. Der Junge, am ganzen Körper zitternd, fiel ihnen in die Arme. Er konnte kaum sprechen. Seine Faust hielt einen abgerissenen Zettel in der Hand:
„Blogaths Totenbuch, altes Gewölbe im Wald, rote Orks, dürfen das Buch nicht bekommen, versuche sie aufzuhalten, werde Hilfe brauchen.“ stand dort in krakeliger Schrift zu lesen. Mit Mühe war dem Jungen eine Beschreibung der Person zu entlocken: „Eine Frau…grüne und braune Kleider…“ brachte er hervor. Inga war froh ihren Alwin wieder in die Arme schließen zu können.
Die Gruppe folgte der Fährte des Jungen. „Rote Orks…was machen Carangul Orks hier in Minhiriath? Wozu brauchen sie das Totenbuch? Was ist los am dunklen Stein im Eryn Vorn?“ schoss es ihnen durch den Kopf, als sie eine Lichtung erreichten. Eine kleine Felsformation in der Mitte fesselte ihre Aufmerksamkeit. Der Ort wirkte unheimlich. Große Bäume umstanden ihn. Broca entdeckte die Spuren der Waldläuferin. Sie endeten in einem schmalen Felskanal auf der Rückseite der Lichtung vor einer kaum sichtbaren Tür. Gefahr spürte der Kundschafter, eine magische Falle sicherte die Tür. Mit ein bisschen Fingerspitzengefühl wurde die Flammenfalle ausgelöst ohne das jemand zu schaden kam.
Kaum in das Gewölbe eingedrungen, entdeckten die Freunde die Waldläuferin tot am Boden. Tarthalion fand bei seiner Durchsuchung ein wunderschönes Schwert auf dem elbische Buchstaben zu lesen waren: Orktöter.
Die erste Abzweigung führte sie in einen alten Vorratsraum, direkt in die Arme eines Knochenmannes. Mutig stürzten sich Menelcar und Tarthalion auf den Untoten. Schnell zerfiel der unter dem Ansturm wieder zu einem Haufen Knochen. Nun war ihnen allerdings der Weg zurück zum Hauptgang versperrt. Orks nahmen die Gefährten unter Beschuss. Menelcar funktionierte ihr Lampenöl zu brennenden Wurfgeschossen um. Broca schleuderte sie den Gegner entgegen. Nach kurzem heftigen Kampf lagen die brennenden Orks tot danieder.
Der Hauptgang endete vor einer schweren Eisen beschlagenen Tür. Düstere Stimmen waren dahinter zu vernehmen. Menelcar stieß die Tür auf. Eine alte zerfallenden Bibliothek tat sich vor den Gefährten auf. Hinten rechts klaubte jemand einzelne Seiten vom Boden auf, gewandet in grobe Felle, behangen mit Totenköpfen. Offensichtlich ein Schamane der Orks. Vor den Regalen im hinteren linken Teil des Raums stand ein groß gewachsener Ork in Kettenrüstung, eine Armbrust im Anschlag.
Die Gruppe teilte sich. Menelcar rannte auf den Schützen zu. Broca brachte sich in Wurfposition. Tarthalion stürmte auf den Schamanen zu. Lamalas bereitete einen Zauber vor.
Der Schuss des großen Ork ging fehl. Der Krieger aus Dol Amroth ging ihn hart an. Auch Broca konnte ein paar Treffer landen. Der Schamane zog allerdings eine Feuerwand vor sich hoch, schien abzuwarten. Gemeinsam kämpften die Gefährten den Orkkrieger nieder, bevor sie den Schamanen versuchten durch die Flammen hindurch zu verwunden.
Plötzlich verschwand das Feuer. Der Schamane gestikulierte wild. Aber Broca, dem sein Angriff wohl galt, widerstand. Gerade als der Schamane fiel, verfehlte Tarthalion ein Bolzen nur knapp. Broca allerdings wurde von einem Streithammer hart im Rücken getroffen. Der große Ork stand wieder auf den Beinen. Während sich der Heiler Wino um den Hobbit kümmerte, griffen die anderen gemeinsam an. Nach kurzem hartem Kampf lag der Ork nun endgültig tot am Boden.
Eine weitere Untersuchung des Gewölbes ergab nicht mehr viel. Eine weitere Begegnung mit einem Knochenmann. Und einen zweiten Ausgang, der offensichtlich regelmäßig von Waldtrollen benutzt wird, der in einer großen natürlichen Höhle endet.
Mit Blogaths Totenbuch im Gepäck kehrten die Gefährten ins Gasthaus zurück.
Keine vier Stunden nach der Rückkehr aus dem unterirdischen Gewölbe mit Blogaths Totenbuch im Gepäck, hatten sich die Freunde schlafen gelegt. Wino, der Animist, schreckte aus seinen Träumen auf. Ein Geräusch an der Wirtshaustür hatte ihn geweckt. Vorsichtig schaute er nach. Der Noldor sah einen mittelgroßen Mann, der zwei Kinder an der Hand führte und aufgeregt mit der Wirtin Inga sprach. Eine unbestimmte Ahnung ließ Wino das Tal hinab ins Dorf schauen. Die hinteren Häuser brannten. Hastig weckte der Elb seine Freunde.
Die Aufregung war groß. Carangul- Orks zogen durch das kleine Dorf, töteten alles was ihnen unter die Messer kam und legten Feuer. Sie waren gekommen, das Buch zu holen und die Feinde ihres dunklen Meisters hier und heute zu stoppen. Die Gefährten teilten sich um die anderen Bewohner zu warnen, sie ins Gasthaus zu holen und eine gemeinsame Flucht aus dem Tal zu wagen. Tarthalion und Wino nahmen das nördliche Flussufer, Menelcar und der Waldläufer Skutilla, ein Dorfbewohner blieben am südlichen. Lamalas sattelte die Pferde und packte ihre Sachen, während Inga die Kinder vorbereitete.
Wino und Tarthalion gerieten in einen Kampf mit den Orks als sie versuchten die Bewohner des westlichsten Hauses zu warnen. Wino wurde schwer verletzt. Zornig und wütend hielt der junge Krieger die Stellung bis ihnen Menelcar zu Hilfe kam. Nach kurzer Zeit hatten sich die meisten Talbewohner am Gasthaus gesammelt.
Dann zog der kleine Tross Richtung Osten zum Taleingang am Fluss entlang. Skutilla und Lamalas ritten voraus um zu schauen, ob ihr Fluchtweg frei sei. Doch schon bald mussten sie erkennen, das der Taleingang besetzt war. Sie wurden erwartet. Die Falle hatte sich geschlossen. Elf Orks hielten den Pass.
Menelcar, Tarthalion und Wino versuchten noch einmal sich den Rücken frei zu halten. Sie erwarteten die sie verfolgenden Orks am Stall des Gasthauses. Geschickt hielt Menelcar Caranguls Schergen mit dem Bogen auf Abstand. Als die Übermacht größer wurde, die Orks näher rückten, griffen Tarthalion und Wino in den Kampf ein. Doch schon bald wendete das Blatt sich wieder gegen sie. Eine in einen dunklen Mantel gehüllte und auf einen Stab gestützte Gestalt mischte sich ein. Plötzlich krümmte sich Menelcar am Boden liegend vor Schmerzen. Die Krallenhand in seine Richtung gestreckt, spürte der Südländer wie die Kreatur ihm die Brust auf zu reißen schien. Schnell zog ihn Wino aus dem Wirkungsbereich, während Tarthalion die Orks mit seinem in den Katakomben gefundenen Schwert Orktöter in Schach hielt. Nach einer kurzen Versorgung schlossen die drei wieder zum Tross auf. Auch Skutilla und Lamalas kehrten zurück. Nun waren sie also eingeschlossen. Wohin sollten sie sich wenden?
In dieser schweren Stunde tauchte unerwartet Hilfe auf. Ihr alter Freund und Weggefährte Celebeth kam von Norden heran. Durch Zufall war er auf ihre Notlage aufmerksam geworden. Er hatte einen uralten vergessenen Pass im Norden, der in das Tal hinein führte gefunden.
Nach einem kurzen heftigen Kampf hatten sie ihre Verfolger aufgerieben, folgten nun dem Elben nach Norden. Rasch verließen sie das Tal ohne noch einmal aufgehalten zu werden.
Der Gefahr entronnen trennten sich die Gefährten von den Dorfbewohner, um sie nicht noch größeren Risiken auszusetzen. Immerhin hatten die Orks ja noch nicht was sie wollten. Celebeth würde die Menschen zu den Jägern führen, während die Gruppe nach Caerg Faergus weiter zog, wo sie acht Tage später auch ankamen.