Tolwen fasst in unserem Forum die Kritikpunkte an ‚Der Eine Ring‘ sehr treffend zusammen. Damit dieser Artikel nicht im Forum ‚verschwindet‘ setze ich ihn hier einmal auf die Homepage:
„Diese Sammelkartenunart (die kompletten Regeln und Optionen auf möglichst viele Bände zu verteilen) ist sicher verkaufsfördernd, stösst aber auch mir auf. Irgendwie werde ich – trotz aller berechtigten Argumente – das Gefühl nicht los, daß auch der ökonomische Aspekt eine wichtige Rolle spielt und ich als Kunde und Mittelerde-RPG-Fan mich hier über den Tisch gezogen fühle. „Du willst jemand aus Gondor spielen – dann warte mal auf das schöne neue Quellenbuch im übernächsten Jahr. Für nur 50 EUR bist du dann dabei!“ Zudem hat dies auch den für mich unangenehmen Aspekt, daß der nicht unerhebliche Regelteil (meist so 20-30% des Bandes) Platz frisst, der für anderes nicht mehr zur Verfügung steht (s.u.).
Aber neben den eigentlichen Regelaspekten hat DER/TOR (für mich persönlich) auch den unangenehmen Effekt, dass es durch die komprmisslose Fokussierung auf die Atmosphäre der Bücher keine (oder nur sehr begrenzte) Möglichkeiten für Kampagnen oder Spiele in anderen Settings in Mittelerde bietet. Das System ist in seinem Kern darauf angewiesen, daß es einen (über)mächtigen Sauron/Schatten gibt, gegen dessen – offensichtliche – Schergen die Helden dann (entgegegen der Aussichten) tapfer zu Felde ziehen. Will man diese Art von Kampagne, ist DER/TOR sicher genau das Richtige. Schwarz/weiß-Denken mit nur sehr begrenzten Grautönen ist hier Trumpf.
Das funktioniert in der DER-Kampagnenzeit (2. Hälfte 30. Jh. DZ) auch ganz prima – und so ist es auch angelegt. Im 3. ZA (als Beispiel) funktioniert mMn DER aber umso weniger, je weiter man sich von diesen Rahmenbedingungen wegbewegt. Vor DZ 1000 ist der Schatten in der klasssichen DER-Form praktisch nicht existent und auch danach sehr schwach. In eine Kampagne im 13. oder 15. Jahrhundert existiert Sauron als schwaches Abbild seiner selbst und seine Schergen sind zwar präsent, aber schwach und alles andere als übermächtig. Dies ist eine Zeit, wo der Schatten sich gerade wieder sammelt und organisiert während seine Gegner stark und mächtig sind. Gondor ist ein gutes Beispiel: In dieser Zeit ist es nicht das hart bedrängte Überbleibsel aus dem HdR, sondern die dominante Supermacht im Nordwesten, die die anderen Menschenreiche nach seiner Pfeife tanzen lässt. Hier führt Gondor keinen tapferen und redlichen Verteidigungskrieg gegen die übermächtigen Schergen Saurons, sondern ist im Gegenteil selber eine imperiale Macht, welche konsequent Eroberungskriege führt und (z.T.) brandschatzend in fremde Länder zieht. Und etwas später geht sich Gondor – ganz ohne einen mächtigen Schatten – selbst in einem mörderischen Bürgerkrieg an die Gurgel.
All dies bietet für mich exzellente Kampagnenmöglichkeiten mit eher grauschattiertem Fokus, die aber m.E. mit dem (Regel)fokus von DER/TOR nicht wirklich funktionieren.
Und das führt mich zu meinem letzten Punkt, der für mich persönlich besonders ärgerlich ist. Der „Weltenbau“ bei DER ist eher mittelmässig. Dies betrifft v.a. die Art der Regionalbeschreibungen. Ich habe hier immer das Gefühl vor einer Filmkulisse zu stehen – für die Kampagne und das konkrete Spiel ist alles da, doch wenn ich (als Spielleiter) gerne etwas mehr über Hintergründe, Geschichte, Kultur und Gesellschaft und Politik der beschriebenen Regionen wissen möchte, wird es schnell ganz dünn. Dann sieht man schnell das Holzgerüst hinter der – zugegebenermassen – schönen Oberfläche. Bei all diesen Themen werden die Quellenbücher sehr schnell sehr vage, unbestimmt und unverbindlich – was ich persönlich sehr frustrierend finde. Es mag sein, dass dies externen Umständen (Lizenz) geschuldet ist und nicht anders geht, doch das Resultat bleibt das gleiche.
In den Regionalquellenbüchern könnte man diese Themen gut aufgreifen, aber da geht ja immer viel Platz für die neuen Regeln drauf (s.o.).
Und da wo mal etwas Hintergrund und Geschichte versucht wird, geht es dann auch oft noch schief (im Sinne von Tolkien-Gelehrsamkeit, die im Zweifelsfall Spielnotwendigkeiten und einer schönen Atmosphäre untergeordnet wird).
Diese Punkte habe ich bei meinem Beitrag für den „Rivendell“ („Bruchtal“)-Band auch recht schnell festgestellt und würde deswegen wahrscheinlich nicht noch einmal bei einem DER/TOR-Buch mitmachen.
Insgesamt ist DER/TOR für mich sowohl von den Regeln (mehr) als auch den Quellenbüchern (weniger) eine gute Inspiration, aber auch nicht mehr.
Aber als System für jemand, der mal genauso wie „Bilbo“ oder „Gimli“ sein will, ist DER/TOR mMn sehr gut geeignet, hört dann aber auch schnell auf.
EDIT: Nicht, dass das falsch rüberkommt – ich halte DER/TOR nicht für schlecht. Im Gegenteil – noch kein System vorher hat sich derartig viel Gedanken um die Umsetzung der Atmosphäre aus den Büchern in Regeln gemacht (MERP/MERS gar nicht und LotRRPG nur teilweise – und das handwwerklich schlecht). Und das auch noch gut. Allerdings muss man stets dazu sagen, dass DER/TOR für eine bestimmte Nische im größeren Gefüge „Mittelerde“ optimiert wurde (unter bewusster „Opferung“ anderer Aspekte). Wenn man diese Nische bevorzugt und darin spielen möchte, gibt es wahrscheinlich nichts besseres. Befindet man sich mit seinen Vorlieben oder Ansprüchen für (s)eine Mittelerde-Kampagne nicht in dieser Nische, nimmt der Nutzwert doch recht schnell ab.
Ich persönlich brauche ein System, welches zwischen den Extremen MERP (rein generisch) und TOR (streng Genre) liegt. Es soll einerseits Mittelerde-Spezifika mit den Regeln transportieren (‚Hope/Shadow‘ und deren Anwendung im System aus DER/TOR halte ich hier für schlicht genial) aber auch flexibel genug sein (Sandbox), um andere Aspekte dieser Welt jenseits des „gute und aufrechte Helden kämpfen gegen übermächtiges Böses“-Klischee abzudecken.“
Mh…
Bei genauer Betrachtung kann ich dir in vielen Dingen recht geben. Abseits der kleinen Bereiche in denen sich DER bewegt wird das Spiel dünn und schwer umsetzbar.
Ich habe mir schon recht früh angewöhnt meine Runden mit etwas mehr „grau“ zu spielen was die Belange der Völker unter sich angeht.
Gondor oder alles um Umfeld habe ich aktuell in meine Runden nicht eingebaut, zwar gibt es die Menschen aus der weißen Stadt als spielbares Volk aber diese reisen auf Aventüre durch Mittelerde oder sind im Exil…
Oft muss man sich selber was zur Region, Orten und Personen was ausdenken aber das fällt mir nicht schwer. Ich habe Bücher mit Hintergründen auch bei anderen System wie D&D oder DSA immer nur als Quelle für Inspiation genommen.
Wieso sind Dúnedain aus Gondor im Exil? Der Hintergrund dazu würde mich mal interessieren 🙂
Und natürlich kann (und werde) ich mir meine eigenen Abenteuer und Kampagnen schreiben bzw. bestehende Bände umbauen oder sonstwie als Inspiration nutzen. Das macht jeder kompetente Spielleiter (behaupte ich mal ganz steil…). Aber wie an anderer Stelle durch Thomas Abbenhaus auch schon mal gesagt: Der Zweck von Regionalmodulen ist ja nicht, daß ich nach deren Kauf die Masse der nötigen Information selber machen muss, weil die Philosophie der Produktlinie daraus besteht, primär „schöne Stimmung“ zu erzeugen und ansonsten oberflächlich bleibt. Meines Erachtens ist der „Erebor“-Band ein Paradebeispiel für diese Oberflächlichkeit, aber dennoch alles für eine konkrete Spielrunde bietet – sofern man man keine Ansprüche an nähere und/oder detailliertere Informationen stellt.